keep breathing.

Hallo Welt, einen persönlichen Beitrag von mir hast du schon lange nicht mehr gesehen. Es ist Jahrzehnte her, dass mein Geschriebenes die Runde im Netz machte und ich unter anderem mit dem “AUTODROM” der Menschheit mit meinen automobilen Erzählungen auf den Geist ging. Über die Jahre ist mein Mitteilungsbedürfnis der Welt gegenüber ziemlich verschwunden und ich bin zum größten Teil mit einer großen Aufgabe beschäftigt: Weiteratmen. Weitermachen. Keep breathing.

Seit Juni letzten Jahres, exakt seit einem Jahr, überschlagen sich die Ereignisse, es entwickeln sich seltsame Eigendynamiken und die Spielfiguren im Spiel des Lebens eiern völlig willkürlich umher oder verschwinden ganz. Eine Veränderung und Entwicklung, auf die ich gerne verzichten könnte - diese Art der Revolution ist echt unnötig. Und doch verbirgt sich hinter all’ diesem Chaos und Trauer doch auch mal was Positives und ich merke wie ich mich wehre dieses auch so wahrzunehmen.

allein, allein.

Wenn man trauert stellt man ziemlich schnell fest, dass man im Endeffekt alleine ist. Meine Mum ist 2012 von uns gegangen, Krebs. Ende Oktober letzten Jahren musste ich dann nach knapp dreimonatigem Kampf auch von meinem Dad Abschied nehmen. Dieser Hurensohn von Krebs kennt keine Gnade. Als Kleinkind war ich ein ziemliches Papa-Kind, was bei Jungs ja relativ unüblich ist, und die letzten 11 Jahre zu zweit (ich habe keine Geschwister) haben uns beide nochmal zusammengeschweißt und geprägt. Wir haben täglich telefoniert und über alles sprechen können, für mich war er auch mein “bester Freund”, der über alles Bescheid wusste.

Die ganze Geschichte ist traurig und ergreifend, Freunde, Bekannte und Andere hören davon, fühlen mit und trauern mit mir - doch dann kommt der entscheidende Moment: Irgendwann drehen sich diese Leute um und ihr Leben geht weiter, während meine Uhren immer noch stillstehen. Das mindert keineswegs das Mitgefühl dieser Menschen, das ist völlig normal. Ich beneide wirklich jeden, bei dem das so ist. Und trotzdem bin ich alleine. Meine Eltern und Großeltern sind alle schon auf der anderen Seite, das bedeutet dass eines Tages alle gemeinsamen Erinnerungen mit mir sterben werden.

halt’s fest!

“Schreib diese Erinnerungen auf…”, riet mir ein sehr guter Freund, “…und halte sie fest für immer und für andere, deine Kinder vielleicht!”, meinte er.

Da saß ich nun, mit Stift und Papier in der Hand, bereit alles zu verewigen. Unzählige Momente, Geschichten, Anekdoten, Orte, Düfte, Gefühle, Bilder und Farben in meinem Kopf - die alle nicht aufs Papier passen. Wie will man das festhalten? Und was ist das Ganze wert? Schlagartig wurde mir bewusst, dass es nicht die krassen und besondere Sachen sind, die bleiben, sondern das banale und alltägliche. Wenn ich an meine Eltern denke und träumend in der Vergangenheit schwelge, dann sind das nicht unsere Reisen, Ausflüge, Geburtstage oder Feste, sondern unser Alltag. Die glücklichste Erinnerung, die ich an meine Eltern habe, sind wir drei im Wohnzimmer. Papa liest, Mama schreibt was und ich… keine Ahnung, spiele irgendwas. Nichts bestimmtes, nichts besonderes. Gemeinsames Abendessen und random Gespräche über die Arbeit und den Alltag oder irgendwo unterwegs und das harmonische Bild der beiden, wie sie sich im Arm haben oder Händchen halten. Momente der Harmonie, Ruhe und Geborgenheit.

Mir ist klar geworden, dass man diese banalen Sachen nicht aufschreiben kann und dass diese Geschichte zwar meine Geschichte ist, diese aber noch nicht vorbei ist, sondern just in diesem Moment, in dem du diese Zeilen liest, weitergeschrieben wird. Was mich betrifft nun in einer anderen Rolle, ich bin kein Kind mehr, sondern selbst Papa. Meine Kinder werden sich an ihren “Pappou” (griechisch für “Opa”) erinnern und die tollen Momente die sie gemeinsam hatten, aber auch an mich als Papa. Vermutlich auch an die Tatsache, dass Papa oft Tränen in den Augen hat und einfach traurig ist, dass Papa vielleicht auch wieder seinen Papa haben will - bestimmt aber auch an den Alltag, wenn Papa wieder tonnenweise Thunfisch, Eier, Käse und sämtliche andere Küchenfundstücke zu leckerem Essen gemacht hat oder die Spaziergänge wenn Mama & Papa sich lachend in den Armen liegen.

superkraft.

Die Geschichte weiterschreiben und Gestalten ist das eine, sie festhalten eine andere Herausforderung. Die Fotografie ist nicht nur meine Leidenschaft, sondern in der Zwischenzeit unter anderem auch mein Beruf. Dazu kommt einfach die immense Begeisterung für die Technik dahinter: Ich liebe Kameras und allerlei fotografisches Gerät, was nicht nur zur Folge hat, dass ich meine Mitmenschen Stundenlang mit Fachgelaber plagen kann, sondern seit einigen Jahren nie das Haus ohne Kamera um den Hals verlasse. Obwohl ich in der Regel die undenkbarsten und krassesten Autos, besondere Menschen oder sonstiges “krasses” vor der Linse habe, fotografiere ich am liebsten meine Kinder und meine Frau Leona. Seit einigen Jahren sammle ich besondere Aufnahmen und drucke einmal im Jahr ein Album für uns und einmal einen Kalender für meine Eltern und Schwiegereltern. 2023 war das erste Jahr, an dem nur meine Schwiegereltern solch einen Kalender unterm Weihnachtsbaum hatten.

Nahezu alles, was mich nach dem Tod meines Dads erwartete, habe ich fotografisch dokumentiert - diesmal jedoch analog auf 35mm Film. Während wir fast täglich an der Wohnung meiner Eltern gearbeitet und alles ausgeräumt haben, nutzte ich die Abende, um den Film zu entwickeln, digitalisieren und schließlich auf meinem Rechner zu speichern. Es wurde zum täglichen Abendritual und hatte eine ziemlich beruhigende Wirkung auf mich. Seit Juni 2023 sehe ich nur noch Destruktives um mich herum: Beginnend mit dem Krankheitsverlauf meines Dads - was das schlimmste war - und schließlich mit dem zerlegen und “zerstören” der Wohnung meiner Eltern. Das Entwickeln der Filme und dadurch das aktive “Erschaffen” der Fotos half mir, das ekelhafte Gefühl der Zerstörung zeitweise etwas zu dämpfen. Wenn alles geschafft ist, gehe ich bewusst über diese Fotos und werde dieses Kapitel offiziell für mich abschließen. Noch ist das jedoch ein langer Weg und während meine Frau schon das Licht am Ende der Tunnels sieht, erkenne ich aktuell noch nicht einmal den Tunnel.

Heute halte ich es kaum noch aus, da helfen auch keine analogen Filme mehr. Vor der Zukunft habe ich ehrlich gesagt etwas Angst, lasse es aber auf mich zukommen. Nach wie vor habe ich das extreme Bedürfnis etwas zu erschaffen, zu kreieren und nicht mehr nur zu zerstören, kaputt machen und zerlegen.

die reise.

Es gab viele Situationen in den letzten 12 Monaten, die mir viel abverlangt haben und im Nachhinein bin ich manchmal selbst erstaunt was ich gemacht habe und dass es geklappt hat. Was jedoch am meisten an mir gezehrt hat, war die Reise nach Griechenland im Mai diesen Jahres: Um das Nachlassverfahren dort anzukurbeln, bin ich Anfang Mai alleine nach Griechenland gefahren. Meine Familie folgte mir eine Woche später mit dem Flugzeug und wir fuhren Ende Mai gemeinsam mit dem Auto zurück.

Gefahren bin ich mit dem Auto meiner Eltern, so wie es mein Dad die letzten Jahre gepflegt hat zu tun. Mit dem Bild meiner lieben Eltern auf die Verkleidung der Beifahrertür, fuhr ich durch die Nacht von Reutlingen über Österreich nach Ancona in Italien, um von dort aus die Fähre nach Griechenland zu nehmen und nochmal durch halb Griechenland zu cruisen, um schließlich Zuhause in Kavala anzukommen. Während mir das Fahren nichts ausmachte und ich problemlos entspannt durchgefahren bin, hat mich der emotionale Teil richtig niedergeschlagen. Noch vor wenigen Monaten saß ich mit meinem Papa in der Klinik in Tübingen und wir schmiedeten Pläne wie wir es anstellen dass wir diese Strecke gemeinsam fahren wenn er wieder rauskommt und jetzt sitze ich quasi alleine in seinem Auto. Ohne Unterstützung, ohne “Erfahrungsbackup”. Alleine. Selbst die Handvoll interessante Sachen, die mir unterwegs begegneten fühlten sich seltsam an, weil ich niemanden hatte, um das mitzuteilen was ich gerade sehe.

pod-gast.

In Griechenland angekommen erwartete mich bewölktes Wetter und Regen, später sogar Platzregen und heftigste Gewitter. Auch diese Reise habe ich penibel dokumentiert: Ich reiste mit der FUJIFILM GFX 50R Mittelformat-Kamera und dokumentierte, sofern möglich, jeden meiner Schritte. Diese Dokumentation wird es in Form eines fotografischen Berichts im FUJIXPASSION Magazin zu lesen geben, darüber hinaus plane ich aber auch ein kleines Zine mit der ganzen Geschichte dahinter in Bild und Text. Aktuell bin ich noch mit dem Aufbereiten der ganzen Reise beschäftigt, aber bald kommt was auf die Außenwelt zu.

Wenige Tage nach meiner Ankunft, hatte ich die große Ehre bei meinem Freund Tom Stöven im “Royal T.S.”-Podcast Gast sein zu dürfen.

Falls es jemand überhört haben sollte: Was im bei mir im Hintergrund kräht, ist ein richtiger, echter Hahn. Mehr Klischee ging leider nicht.

Das Unerwartete kam nach dem Veröffentlichen der Folge im Juni 2024: Mich erreichten unzählige Nachrichten mit tollen Worten und Feedback, unter anderem inspirierte meine Geschichte Robin Disselkamp dazu, selbst einen Beitrag in seinem Blog zu veröffentlichen und auch Hanno Stolberg schrieb in dem Bezug ein paar Zeilen. Von einem Moment zum anderen bin ich plötzlich mittendrin in der Bubble und ich merke, dass meine Geschichte doch einen ungeahnten Impact auf andere hatte. Damit gerechnet hätte ich nie. Sollte ich jedoch auch nur einen Menschen dazu bewegen können, beim nächsten Mal seine Eltern auch nur eine Sekunde länger zu umarmen als üblich, bin ich schon überglücklich.

mach mal youtube!

Seit nahezu einem Jahrzehnt habe ich vor, YouTube-Videos zu drehen. Das Konzept YouTube hat meinen Fernseh-Konsum schon beim ausziehen aus dem Elternhaus von einen Tag auf den anderen komplett ersetzt. Zu jeder Zeit kann ich mich von den Inhalten berieseln lassen, die mich im Moment bewegen. Obwohl ich oft gerne kleine Reels für Instagram gestalte, langweilt mich der nutzlose und schnelle Content sehr. Vielleicht bin ich einfach nur zu alt geworden, aber das schnell hingeschmierte “social media”-Leben nervt mich. Wo bleibt die Liebe zum Detail? Dazu kommt der meist recht seichte Anspruch ans menschliche Denken. Auf YouTube dagegen finde ich oft mühevoll aufbereitete Inhalte, die mir persönlich auch einen Mehrwert bieten können. Das will ich auch können.

Im April habe ich es endlich gewagt: Nach unzähligen Tutorials auf YouTube, habe ich mein erstes Video hochgeladen. Aktuell habe ich rund 250 Subscriber und hoffe sehr, dass ich bald die 500 schaffe, um meinen Kanal “dromokratis auch monetarisieren zu können. Ich glaube leider nicht, dass ich damit reich werde oder überhaupt größere Summen fließen werden, hoffe jedoch, dass es wenigstens ein bisschen was rüberkommt.

Was mir besonders gefällt ist die Tatsache, dass meine Videos - unabhängig davon wie gut oder wie schlecht sie sind - etwas sind, das ich erschaffen habe. Neben der gnadenlosen Destruktion der letzten Monate, wirken diese paar Minuten Fotografiegelaber wie reinste Medizin: Es entsteht etwas Neues, ohne dass etwas Altes dafür kaputt gehen muss. Der Zuspruch meiner Abonnenten bestätigt mich in meinem Tun.

workshops.

Der größte Ritterschlag für mein Tun folgte Ende Mai, als ich mit meiner Familie am Hafen von Igoumenitsa gerade an Schiff ging und unsere Kabine betraten: Ein Anruf mit unbekannter, deutscher Handynummer. Eine Dame am Telefon lobt mein Tun als Fotograf und mein Auftreten auf in meinen Videos und fragt mich, ob ich mir vorstellen könnte, Einzelcoachings bzw. Einzelworkshops zum Thema Fotografie, insbesondere Portraits, zu geben. Und wie ich das kann! Auf dem Weg zurück nach Deutschland hatte ich eine Menge Ideen, wie man das umsetzen könnte und nach wenigen Tagen konnte ich sie am Telefon von meinem Konzept begeistern und vor wenigen Tagen den Workshop erfolgreich mit ihr halten.

Natürlich vermittelt man auf Workshops in erster Linie Wissen, jedoch lernt man auch selbst viel dazu. Ob Profi oder Amateur - Fotografierende haben unterschiedliche Herangehensweisen und Philosophien was vieles betrifft und es ist immer wieder schön, auch mal was anderes zu sehen. Die wichtigste Komponente ist dabei der Mensch. Wenn es gelingt, sich als “Geschäftspartner” zu treffen und als Freunde wieder zu gehen, ist alles erfüllt.

Aktuell arbeite ich noch an einem Workshop-Portal hier auf meiner Webseite, auf dem man sich in Zukunft über mögliche Inhalte und Abläufe informieren kann - sobald dieses online ist, erfährst du es über Instagram oder meinem Newsletter.

auf und ab.

Die Trauer um meinen geliebten Dad ist allgegenwärtig. Es gibt keinen einzigen Tag ohne Tränen und Schwermut, ohne den kurzen Moment, an dem ich wirklich alle Lust zu leben verliere, keinen einzigen Tag ohne das Gefühl nie wieder lachen oder glücklich sein zu können. Kein Tag, an dem ich mich für einen kurzen Moment nicht über dieses beschissene System aufrege und all’ den ekelhaften Menschen gedenke, die mich aufgrund meiner Situation verlassen, ausgelacht und ausgegrenzt haben.

Dazu gibt es aber auch keinen Tag mehr, an dem meine Familie mir bewusst macht dass mein Platz noch unter den Lebenden ist und ich geliebt werde. Kein Tag mehr, an dem ich nicht an all’ diese tollen Menschen denke, die auf dieser abstrusen Reise in mein Leben gekommen sind und ihren festen Platz bekommen haben, an das Netzwerk um mich herum, das mich in meinem Tun bestärkt und natürlich an die schönen Momente, die ich erleben durfte.

Ich hatte die großartigsten Eltern, die man sich nur vorstellen kann. Auch wenn ich viele Erinnerungen nicht in einer greifbaren Form festhalten konnte, weil die “Superkraft Kamera” nicht seit meiner Geburt ausgeprägt war, sind diese trotzdem in mir drin und niemand kann sie mir nehmen. Ein schöner Gedanke. Heute habe ich zwar meine Eltern nicht, dafür aber die großartigsten Menschen um mich herum, die man sich nur wünschen kann.

zukunftsmusik.

Der Podcast mit Tom Stöven war der Anfang, eine weitere Einladung zu einem anderen Podcast habe ich schon bestätigt und kann es kaum erwarten diese besondere Folge aufzunehmen. Im August reise ich für vier ganze Wochen nach Griechenland und werde natürlich auch diese Reise wieder fotografisch dokumentieren, diesmal mit jedoch mit Leica. Mein Business nimmt langsam fahrt auf und ich sehe schon voller Hoffnung in die nächste Woche, in der mit Sicherheit auch wieder etwas besonderes passieren wird. Es geht weiter, ich muss nur weiteratmen. Keep breathing.

Previous
Previous

die labeltheorie.

Next
Next

A night of analogue photography.